Christopher Kassulke räumt ein, mit Handygames tiefe Täler erlebt zu haben. Im damals völlig unreifen Mobile-Markt erarbeitete sich Handygames jedoch mit einer Früh-Erorberungsstrategie stets einen hohen Marktanteil. Der Gründer verrät Erfolgsfaktoren.
Die 3000-Seelen-Gemeinde Giebelstadt gibt es, genaugenommen, erst wieder seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Auf dem hier beheimateten Fliegerhorst wurden nämlich während des 3. Reichs derart geheime Luftwaffenprojekte, darunter die legendäre Messerschmitt 262, getestet, dass der Ort irgendwann einfach aus den Landkarten ausradiert wurde.
Mittlerweile ist Giebelstadt längst offiziell wieder da, aber insbesondere in der Branche als Stammsitz von Handygames bekannt. Bereits 1999 mischte Christopher Kassulke mit seinem Bruder Markus und Udo Bausewein im Softwaregeschäft mit, suchte aber in einer Phase, als die Märkte für PCs und Spiele-Konsolen längst aufgeteilt waren, nach der unentdeckten Nische für ein aufstrebendes 3-Mann-Unternehmen.
Man hatte – der Leser ahnt es schon – die Gebrüder Kassulke und Mitgründer Bausewein belächelt, ausgelacht, oder geradeheraus für verrückt erklärt.
“Wir haben bereits 1999 angefangen – aber wir haben damals bereits gesagt, die Entwicklung bei den Smartphones haben wir genauso mit dem PC bereits erlebt”, entgegnet Christopher Kassulke im Gespräch mit GamesIndustry.biz. “In ein paar Jahren wird der Prozessor da drin so stark wie ein Game Boy sein.”
“Es lief bei den PCs doch genauso, da hat jeder drauf rumgeschrieben”, so Kassulke weite. “Bei Mobile fing es auch grad mal bei SMS an, aber wie bald erschienen die ersten Klingeltöne und Smilies? Aber was wäre, wenn man, was richtig Cooles machen und die ersten sein würde?” Dies hat sich Christopher Kassulke auf die Fahnen geschrieben – herausgekommen ist ein Unternehmen, das jetzt seit bald 15 Jahren die Untiefen der Branche meistert. Ein Gespräch mit dem Gründer.
GamesIndustry.biz: Es scheint irgendwie unerklärlich, womit man auf mobilen Plattformen erfolgreich sein kann – selten sind es ja die traditionellen Marken. Wie kann man sich da im Sinne einer Planbarkeit überhaupt fast 15 Jahre lang behaupten?
Christopher Kassulke: Natürlich gibt es diese Goldgräber, die mit einem einzigen Titel einfach Glück haben, etwa ein Flappy Bird. Aber ein planbares Geschäft zu betreiben, ist extrem schwer.
Wir versuchen, dies seit Jahren zu betreiben. Wir müssen mit unseren Spielen nicht auf Platz 1 der Charts sein – das ist nett, aber es reicht uns völlig aus, wenn wir irgendwo in den Top 100 oder 200 dabei sind. Aber das setzt voraus, dass dies lange Zeit so ist und es sich nicht um ein typisches One-Hit-Wonder handelt. Ich sage immer, ich möchte nicht derjenige sein, der nach Gold schürft, sondern der, der die Schaufeln verkauft.
Wir waren ja selbst diejenigen, die rasant nach Goldgräber-Manier losgelegt haben. Wir haben aber schnell gemerkt, dass sich dieser Markt rasant ändern wird. Das haben wir mehrfach miterlebt. Wir hatten viele goldene Zeiten, haben aber auch viele Jammertäler durchschritten in unseren fast 15 Jahren. Und wir haben in dieser Zeit viele Firmen wie etwa Vivendi mit sehr viel Geld erlebt, die diesen Markt komplett aufrollen wollten. Die sind trotz ihrer hohen Investitionen wieder heulend rausgegangen und das haben wir immer wieder beobachtet.
Mit viel Geld allein kann man im Markt also auch nicht wirklich viel bewegen. Man braucht die gute Idee, aber auch das nötige Kleingeld, um auf Dauer agieren zu können.
GamesIndustry.biz: Jetzt scheint ja gerade Handygames scheinbar planlos in fast jede Plattform zu investieren – im Sinne, dass Sie schnell Spiele anbieten. Welche Struktur steckt hinter der scheinbaren Planlosigkeit?
Christopher Kassulke: Es kommt ja immer darauf an, wie viel Geld man in neue Plattformen investiert. Wir waren einer der ersten, die überhaupt etwas für Windows Phone 8 produziert haben. Wir haben dadurch einen riesigen Achtungserfolg erzielt, weil wir gleich mehrere Millionen Downloads in sehr kurzer Zeit hingelegt haben. Im iOS-Bereich ist es natürlich sehr teuer: So viele Downloads in so kurzer Zeit zu erzielen, kostet einfach extrem viel Geld und man muss ganz einfach Glück haben.
Auf Windows Phone 8 sind dagegen die Claims noch nicht abgesteckt.
Bei Android ist der Zug für viele neue Anbieter auch schon abgefahren. Wenn man aber ein Android-Handy hat, wird man beispielsweise sehen, dass ein Handygames-Titel ganz vorne steht zum Beispiel bei einem Summer Sale. Und das hat eben etwas mit Beziehungen zu tun, die man über Jahre entwickelt und die flechtet man immer von Anfang an. Es war schon immer Handygames-Strategie, als einer der ersten mit auf den Plattformen zu sein. Egal ob das jetzt bei Amazon ist: Bei Fire Phone gab es gerade mal zwei Firmen weltweit, die da ein Spiel veröffentlicht haben, und eines kam hier aus dem schönen Giebelstadt. Die anderen kamen von Amazons eigenen Studios. Das heißt, man kann sich vorstellen, wie einfach es ist in einer solchen frühen Phase auch bei Amazon Gespräche zu führen. Handygames ist bereits jetzt auf Wearables präsent – auch um Erfahrungen mit dem Plattformhalter aufzubauen. Das Gleiche gilt für Wearables.
Wir waren schon immer technologielastig und für uns ist das ein typisches R&D-Thema. Der Markt dreht sich so schnell – das was heute aktuell ist, ist morgen passe. Schauen Sie sich Ouya an – wir sind als einer der ersten in die Kickstarter-Kampagne eingestiegen und haben die unterstützt, da hatten die gerade mal fünf Spiele. Alle haben uns für verrückt gehalten, aber das habe ich schon so oft gehört in meinem Leben. Da gewöhnt man sich dran.
Wir wussten aber, das ist der Anfang. Danach kam ein Amazon Fire TV raus, was ja nichts anderes ist wie Ouya nur auf der Amazon-Plattform, und jetzt kam Android TV von Google raus. Auch da haben wir wieder einen Marktanteil von ungefähr 20 Prozent aus dem Stand heraus.
Um uns den Marktanteil wieder wegzunehmen kostet erst mal viel Geld. Wir stecken unsere Claims erst ab, schauen, wie die Plattform sich entwickelt und investieren dann weiter in die Plattform rein, wenn es wieder Sinn macht. Aber erst einmal reingehen, Revier markieren und Marktanteile schnappen: Das ist unser Strategie, weil es am Anfang auf jeder Plattform es viel einfacher ist, sich Prozente und Marktanteile zu schnappen als eben nachträglich innovativ zu sein wie sehr viele andere mit sehr viel Geld.
GamesIndustry.biz: Ist denn die Plattform immer noch reines interaktives Daumenkino oder wird tatsächlich zuhause länger gespielt und entsprechende Qualität erwartet?
Christopher Kassulke: Natürlich erheben wir es, wann und wo Spieler spielen, einfach, indem wir sie fragen. Und es ist tatsächlich so, dass auf mobilen Plattformen viel zu Hause auf der Couch gespielt wird, wenn etwa die Ehefrau einen Rosamunde-Pilcher-Film sehen will und der Mann auf der Couch bleiben muss. Es ist mittlerweile auch ganz normal, sich statt eines Buchs ein iPad mit ins Bett zu nehmen. Natürlich gibt es nach wie vor die 5-Minuten-Spiele für zwischendurch im Bus, aber das ist nicht unser tägliches Brot. Wir sehen auch, dass die Nutzungsdauer einfach nicht 5 Minuten ist. Bei 1941 – Frozen Front sitzen die Leute im Schnitt 21 Minuten dran. Am Anfang hatten die kleinen Casual-Titel eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 2 oder 3 Minuten, aber mittlerweile ist unser Markt ja auch ganz anders geworden. Aus den kleinen Spiele-Snacks für zwischendurch sind längst vollwertige Mahlzeiten geworden. Daran kann man stundenlang spielen.
Anders sind Spiele wie Candy Crush Saga aufgebaut, die ganz kurze Spielabschnitte bieten und dann auf den Suchteffekt setzen. Das ist für mich als Gamer nicht unbedingt das, was ich unter einem Spiel verstehe, aber die sind trotzdem gut für uns, da sie uns mit Nachwuchs versorgen.
Man kann auf diesen Dingern noch Geschichte schreiben – da redet man von Millionenstückzahlen.
GamesInduStry.biz: Vielen Dank für das Gespräch!